Inhalt
Vorwort
Einleitung
Forschungsstand
Zum Verhältnis zwischen
Literatur und Film
Frears - Laclos  - 
Der Vergleich
Eigene Gestaltungsmittel
des Films
Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
2. ÜBERBLICK ÜBER DEN GEGENWÄRTIGEN FORSCHUNGSSTAND

Das Verhältnis zwischen Literatur und Film wird bereits seit vielen Jahren diskutiert. Seit Beginn der Filmgeschichte sind literarische Werke verfilmt worden, da es sich häufig anbot, fertige und meist bereits erfolgreiche Stoffe für das neue Medium zu verwenden. Eine systematische Forschung über das Verhältnis zwischen Film und Literatur hat jedoch erst spät begonnen, da sich häufig die festgefügten Vorstellungen der akademischen Disziplinen einer im Grunde interdisziplinären Forschung verweigerten. Für die Literaturwissenschaft war und ist die Beschäftigung mit dem Film ein Randthema, ebenso wie für die Theaterwissenschaft, die sich erst aus der Literaturwissenschaft entwickelt hat. Dazu kommt, daß viele Aspekte des Films als Werk, das allein schon im künstlerischen Bereich von der Kreativität vieler Menschen abhängt, dem Literaturwissenschaftler fremd sind. Deshalb hat sich in den letzten Jahren vor allem die neue Disziplin der Medien- und Kommunikationswissenschaft diesem Thema gewidmet, allerdings nicht nur in bezug auf die ästhetische Seite der Beziehung zwischen Literatur und Film, sondern auch sehr auf soziologische und wirtschaftliche Aspekte. Doch schon allein im ästhetischen Bereich ist die Forschung vielfältig. Beinahe alle Filmtheoretiker haben sich mehr oder weniger zum Verhältnis zwischen Film und Literatur geäußert, viele auch zur Problematik von Literaturverfilmungen. Dazu gehören unter anderem auch André Bazin, Christian Metz, George Bluestone und F.-J. Albersmeier. Die Diskussion bewegt sich jedoch stark im theoretischen Bereich. Empirische Vergleiche zwischen einzelnen Werken sind relativ selten.

Speziell zum Thema dieser Arbeit gibt es deshalb bisher nur äußerst spärliche wissenschaftliche Literatur, nicht zuletzt auch bedingt durch die relativ kurze Zeit, die seit der Entstehung dieser Verfilmung verstrichen ist. Bis heute ist in der Bibliographie der Modern Language Association im wesentlichen lediglich ein Band einer einzigen Zeitschrift nachgewiesen, in dem einige Artikel und Interviews zu den neuen Film-Adaptionen stehen: Die Zeitschrift "Eighteenth Century Life" (Band 14 vom Mai 1990) vom College of William and Mary in Williamsburg (Virg.), USA. Der Abschnitt 'Film Forum' beschäftigt sich in drei Artikeln und fünf Interviews vor allem mit den aktuellen Verfilmungen von Frears und Forman, aber auch mit den Versionen Brabants und Vadims.

Im ersten Artikel "'The Energy of Evil Has Diminished': Less Dangerous Liaisons" vergleichen Elise F. Knapp und Robert Glen unter der Prämisse der Werktreue, wieviel die Verfilmungen von Frears und Forman aus dem Roman zu übertragen in der Lage sind. Sie kommen zu den bereits durch die Prämisse bedingten schlechten Ergebnissen, doch Frears' Film gestehen sie auch Qualitäten zu, die der Roman nicht erreicht. Enttäuscht sind sie in jedem Fall von Formans VALMONT.

Besonders den Verlust des politisch-historischen Charakters des Romans in den Verfilmungen heben Knapp/Glen hervor. Für sie ist der Roman jedoch in erster Linie unter politisch-historischen Aspekten zu sehen. Eine weitere der Thesen geht bereits aus dem Titel ihres Artikels hervor: daß die Liaisons anno 1989 nicht mehr so gefährlich sind wie 1782: "Generally, ugliness, evil and danger itself are diminished or deleted entirely."(8) Doch einige der Kritikpunkte, die sie für die Verfilmungen anführen, treffen im Grunde auch auf den Roman zu. Darüber hinaus zeigt diese Arbeit, daß die Frears-Verfilmung mit den dem Film eigenen Mitteln die Bösartigkeit der Hauptfiguren ebenso stark offenlegt, wie dies dem Buch möglich ist.

Der zweite Artikel "Variations on a Denouement: Les Liaisons Dangereuses on Film" von Alan J. Singerman untersucht, wie die vier zeitgenössischen Filmkünstler Vadim, Brabant, Frears und Forman das Ende des Romans sehen und verarbeiten. Er entdeckt in allen Filmen außer VALMONT interessante Aspekte der Interpretation des Romanendes. Zu Vadims Verfilmung hebt er in erster Linie hervor, daß Vadim jede tragische Dimension des Endes geopfert habe, indem Valmonts Tod zu einem trivialen Unfall reduziert wird, Mme de Tourvel psychisch krank wird, Danceny und Cécile heiraten und Mme de Merteuil sich beim Verbrennen von Briefen ihr Gesicht verbrennt. Brabant dagegen, so Singerman, betone vor allem den revolutionären Charakter des Werks, während bei Frears ein psychoanalytischer Ansatz das Ende beherrsche.

Der Autor des dritten Artikels "Mme de Merteuil, Juliette, and the Men" ist Joseph Brami, der sich besonders mit Vadims Film von 1959 beschäftigt. Diese Studie zeigt schon am Anfang, daß Vadims Film die Erwartungen des Verfassers an die Werktreue enttäuscht, da bei der Transponierung für ihn viel vom Buch 'verlorengeht'. Seines Erachtens bleibt der Film inhaltlich, so skandalös auch er zu seiner Zeit wirkte, in einigen Aspekten noch hinter dem Nonkonformismus von Laclos' Roman zurück.

Berücksichtigung finden die Theaterversion Christopher Hamptons und der Film von Stephen Frears in der Neuausgabe des schon 1970 erschienenen Bändchens von Philip Thody (1991)(9) : Als ein zusätzliches Kapitel fügt Thody einen Kurzvergleich mit dem Roman an, der ebenfalls mit der Prämisse der Werktreue an den Vergleich herangeht. Thody sieht sowohl in der Verfilmung als auch in der Theaterversion eine Reihe interessanter Aspekte abgewinnen, zieht jedoch - insgesamt gesehen - die Theateradaption vor. Interessant ist, daß Thody die Verfilmung von Miloš Forman mit keinem Wort erwähnt, obwohl diese zum Zeitpunkt der Veröffentlichung seines Vergleichs bereits zwei Jahre alt war.

Über diese Artikel hinaus gibt es bisher nur Rezensionen in einschlägigen filmkritischen Zeitschriften oder Magazinen. Insofern fehlt also eine systematische Untersuchung dieser Verfilmungen völlig. Allerdings merkt man einigen der Studien und auch den Interviews in "Eighteenth Century Life" an, daß die Autoren eine enorme Detailkenntnis der Filme haben.

Einen Einblick in die Rezeption insbesondere des Films von Stephen Frears in Magazinen und filmkritischen Zeitschriften soll der nächste Abschnitt geben.

2.1. Die Rezeption der Frears-Verfilmung

Aus Platzgründen kann dieser Abschnitt in filmkritischen Zeitschriften und Magazinen nur einen gewissen Einblick geben. Der Film Literature Index verzeichnet zahlreiche Rezensionen, vor allem amerikanischer Zeitschriften, zu denen auch American Film gehört. Unter den deutschen Filmzeitschriften ist über Frears' und Formans Film jeweils eine Rezension in epd-Film (Evangelische Kirche) bekannt. Der einzige andere im Film Literature Index verzeichnete deutsche Artikel ist in Medien und Erziehung. (10) zu finden. In Frankreich veröffentlichten die Cahiers du Cinema im April 1989 eine Rezension, ebenso wie die Zeitschriften Revue du Cinéma und Positif. Die letztere nimmt die Rezension zum Anlaß, auch ein Interview mit Stephen Frears und einen rückblickenden Artikel über die Fernsehfilme zu präsentieren, die Frears' Karriere als Kinofilmregisseur vorausgegangen sind. Weitere Rezensionen finden sich in den wichtigsten europäischen Filmzeitschriften, darunter in Kosmorama, der Zeitschrift des Filmmuseums Kopenhagen, dort zusammen mit einem Porträt John Malkovichs.

Darüber hinaus gibt es Filmkritiken in vielen Tages- und Wochenzeitungen sowie in Magazinen. All diese Rezensionen sind stärker als in den filmkritischen Zeitschriften den üblichen journalistischen Zwängen ausgesetzt, auf wenigen Zeilen meist relativ schnell produziert werden zu müssen und häufig eher auf subjektiven Kriterien zu beruhen, und können nur mit entsprechender Vorsicht bewertet werden.

Die Filmkritik nahm in der Regel den Film von Stephen Frears positiv auf, während der Film von Forman dagegen eher auf Enttäuschung traf. Daland Segler von epd-Film jedoch glaubt, den Film 'verreißen' zu müssen und wirft Frears die Zusammenarbeit mit Warner Brothers vor, die, wie er suggeriert, der Grund dafür sei, daß der Film so keusch sei "wie David Hamiltons Weichzeichner-Fummeleien". Segler kritisiert auch den fehlenden historischen Bezug, das Ende bezeichnet er wie das Ende in Laclos' Roman als Heuchelei. Für ihn bleibt der Film genau das, was Frears vermeiden wollte: "der üppigen Oberfläche verhaftet"(11). Die epd-Film-Kritik über Formans Film von Verena Lueken dagegen hebt Frears Verfilmung als positives Beispiel hervor, lobt deren "hervorragende Besetzung", die Inszenierung der Geschichte "als eiskaltes Spiel". Zwar versucht sie Formans Film als spätergekommenen etwas in Schutz zu nehmen, bezeichnet ihn dann jedoch als "langweiligen Kostümfilm" mit unglaubwürdigen und uninteressanten Figuren. (12) Annette Meyhöfer, die für den Spiegel die DANGEROUS LIAISONS rezensiert(13) , hebt den psychologischen Charakter des Frears-Films hervor, sein Tempo, seinen Rhythmus, seine "präzise Choreographie, ja Geometrie [...] Frears schwelgt nicht, er rechnet." Er inszeniere, wie Meyhöfer formuliert, "vollendetes Rokoko, Berechnung und Empfindung, meisterhaft." Auch sie hebt die Besetzung hervor: "Die Modernität ist die Kunst seiner Schauspieler".

In den Cahiers du Cinéma lobt Frédéric Sabouraud die DANGEROUS LIAISONS als mutigen Schritt, sich von den früheren sich in ihrer Machart gleichenden Filmen zu entfernen(14). Frears habe für die Verfilmung viel vom Buch umbauen müssen, dessen Rauhheit, Dichte und genaue Entwicklung der Handlung keinen Platz für die Konnotation lasse. Den Film beschreibt er als von Worten beherrscht und lobt Hamptons wohlausgewogene Dialoge. Als Mangel hebt er hervor, daß die Tempobeschleunigung nicht zu einem tragischen Ende führe. Die Regie, so Sabouraud, leide an einem Mangel an Härte und Klarheit in der Regieführung: "le naturalisme des décors, des costumes, s'il évite le pompiérisme d'un AMADEUS, se présente comme un passage obligé et non comme une nécessité de la mise en scène, à qui justement il nuit."

Seit Fazit jedoch ist positiv: "Chez Frears, on souhaite, qu'il soit une transition vers plus d'épure, encore et surtout plus d'inattendu. Le choix qu'il a fait là laisse bien augurer de l'avenir."

In der Zeitschrift Positif(15) hebt Pascal Pernod vor allem einen gleichmäßigen Erzählrhythmus bei äußerst dynamischem Stil und dynamischer Führung der Schauspieler hervor. Gerade das Ausradieren der Briefform lasse die Figuren zum Leben erwachen. Übrig bleibe eine effiziente Dramatisierung, ein Kino nach Art Hollywoods, die den Professionalismus der Schauspieler betone, unter denen Valmont eindeutig Dominanz eingeräumt werde. Den weiblichen Rollen hingegen bleibe nicht genügend Raum.

Auch für die Revue du Cinéma ist der Film Anlaß für eine umfangreiche Besprechung des Themas durch Guy Gautier und Stéphane Brisset(16). Vor der Rezension erscheint ein zusammenfassender Artikel über Laclos und den Roman, im Anschluß daran ein Porträt über Frears sowie ein Interview mit ihm.

Die Rezension hält den Umweg der Verfilmung über das Theaterstück Hamptons für am besten, da Briefe als eine Art Dialog so am ehesten dramatisiert werden könnten, doch "le film de Frears, malgré ses évidentes qualités, ne brûle pas". Dem Rezensenten Guy Gautier erscheint er als zu prunkvoll, zu fasziniert von der Pracht des 18. Jahrhunderts. Er kritisiert außerdem, Frears habe weder den schnellen Stilwechsel Laclos übertragen können noch die Wichtigkeit der Marquise de Merteuil erfaßt, ebenso wie auch die anderen weiblichen Rollen ohne Charakter seien. Daß die Duellszene im Film mehr Raum erhält, kommentiert Gautier positiv, angesichts eines Films "qui manque un peu d'action".

Abschließend gesteht Gautier Frears zwar die Freiheit zu, nach den dem Film eigenen ästhetischen Erfordernissen zu arbeiten, schränkt jedoch ein, der Roman gehöre nun einmal zu den Denkmälern der Literaturwerke, an die man sich erinnere, wenn jemand von ihrem Reichtum und ihrem Prestige profitieren wolle. Frears könne aber auch weiter die kommende Jahrhundertwende in einem Kostümfilm einer anderen Jahrhundertwende zeigen, was er mit "aisance et séduction" getan habe.

Der Beitrag Mark Hunters in der Zeitschrift American Film(17), weniger eine Rezension als eine Reportage über die Dreharbeiten und Frears' Vorgeschichte als Regisseur, legt den Schwerpunkt der Kritik auf die These, daß Frears mit dem Kostümfilm zwar für sich selbst Neuland betritt, aber im Grunde nur seine "obsession for sexual treachery" ins 18. Jahrhundert überträgt.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Kritiken kein sehr eindeutiges Bild ergeben. Auffällig ist jedoch, daß besonders die Dialoge positiv herausgestellt werden. An der Gesamtregie, die durchweg nicht gerade als erstklassig gewertet wird, schneidet die Schauspielerregie noch am besten ab, ebenso wie die Besetzung der Hauptrollen.

(8) Knapp/Glen, ""The Energy of Evil has diminished": Less dangerous liaisons," in: ECL 14(2) 1990 45.
(9) Philip Thody, Choderlos de Laclos: Les Liaisons dangereuses, Glasgow (University of Glasgow French and German Publications) 1991.
(10) M. Köhler, "Gefährliche Liebschaften" in : Medien und Erziehung 33/2 (1989) 96/97.
(11) Daland Segler, "Gefährliche Liebschaften" in: epd-Film 4 (1989) 32.
(12) Verena Lueken, "Valmont" in: epd-Film 12 (1989) 30.
(13) Annette Meyhöfer, "Geometrie der Verführung" in: Spiegel 15 (1989) 222/225.
(14) Frédéric Sabouraud, "Le cinéma de l'immédiat" in: Cahiers du Cinéma 417 (Mars 1989) 42f.
(15) Pascal Pernod, "Le galop des libertins" in: Positif 338 (Avril 1989) 4f.
(16) G. Gautier/S. Brisset, "Stephen Frears et Les Liaisons Dangereuses" in: Revue du Cinéma 448 (Avril 1989) 68 78.
(17) Mark Hunter, "Marquise de Merteuil and Comte de Valmont Get Laid" in: American Film 14 (Dec. 1988) 27 31.
(17) Mark Hunter, "Marquise de Merteuil and Comte de Valmont Get Laid" in: American Film 14 (Dec. 1988) 27 31.

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